Gegenstand unzähliger Geschichten sind die Internate der Spezialklassen. Anfänglich wurde das Internat der
ABF in der Philipp-Müller-Straße genutzt. Später bekamen die Spezialklassen ein eigenes Internat in
der Dryanderstraße. Nach dessen Aufgabe wurden die Schüler im "Block 495", einem
Studentenwohnheim in Halle-Neustadt, untergebracht. Das allzu intensive Genießen studentischer Freiheiten
durch die Schüler veranlasste die Leitung der Spezialklassen zur Suche eines wiederum eigenständigen
Internates. Und dieses wurde im "Nikolai Ostrowski" Heim in der Emil-Abderhalden-Straße 7 gefunden.
Neben diesem Vorzug der Eigenständigkeit hatte dieses Heim eigentlich keine weiteren
Vorzüge, könnte man meinen. Der Bauzustand war miserabel, die Heizungsanlage von musealem Wert, die Duschen
nur einmal pro Woche zu benutzen. Aus der Sicht der Schüler ergaben sich aber eine Reihe von Vorzügen:
Kurze Wege zur Schule oder in die City, die Nähe zur Universitäts- und Landesbibliothek und die
besagte Eigenständigkeit.
Das Zusammenleben im Internat hatte einen wesentlichen Einfluss auf das positive soziale Klima zwischen den
Schülern. Gegenseitige Hilfe und gegenseitiges Anspornen bei der Bewältigung des umfangreichen Lernpensums
waren selbstverständlich.
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7. Die Spezialklassen und die Volksbildung |
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Die Unterstellung der Spezialklassen unter die Aufsicht des Staatssekretariats für das Hoch- und
Fachschulwesen, später dem entsprechenden Ministerium, war für eine Einrichtung, die zur Reifeprüfung
führte, ungewöhnlich. Normalerweise unterstanden alle schulischen Einrichtungen dem Ministerium für
Volksbildung. Entsprechend "misstrauisch" wurden die Spezialklassen durch den Bezirksschulrat als Vertreter
des Ministeriums für Volksbildung im Bezirk bzw. ihm nachgeordnete Institutionen beobachtet. So waren
alljährlich die Aufgaben für das Spezialklassen-Abitur in Mathematik und Physik einzureichen. Die
Begutachtung führte nie zu Änderungen.
Die organisatorische Anbindung der Spezialklassen an die Universität und die relative Unabhängigkeit von
der Volksbildung schufen gewisse Freiräume. Zum Beispiel war die "gesellschaftliche Arbeit",
verglichen mit den Aktivitäten an einer beliebigen EOS, deutlich weniger ausgeprägt.
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8. Das Ende der Spezialklassen |
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Im Zuge der politischen Umwälzungen in den Jahren 1989/1990 kam es zu tiefgreifenden Veränderungen in
der Bildungslandschaft auf dem Gebiet der vormaligen DDR. Da die Spezialklassen kein Pendant in der alten
Bundesrepublik hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Arbeit in den Spezialklassen eingestellt wurde.
Zu Beginn des Schuljahres 1990/1991 wurden noch einmal drei Klassen aufgenommen. Im Laufe dieses Schuljahres wurde
im Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg entschieden, dass die Spezialklassen für Mathematik
und Physik in Halle und in Magdeburg zum Ende des laufenden Schuljahres und die Spezialklassen für Chemie in
Merseburg zum Ende des Schuljahres 1991/92 aufzulösen waren.
Die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 11 des Schuljahrganges 1990/91 konnten ihre Ausbildung am
Georg-Cantor-Gymnasium Halle, das aus der 1988 gegründeten Spezialschule
mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Richtung hervorgegangen war, fortsetzen und dort 1992 das Abitur
erwerben. Den Lehrerinnen und Lehrern verblieb die Möglichkeit, sich für eine Stelle an einem Gymnasium
bewerben.
Das Ende des Schuljahres 1990/91 war, nach 27 Jahren ihres Bestehens, somit auch das Ende der Spezialklassen für
Mathematik und Physik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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9. Schluss |
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Rückblickend lässt sich zusammenfassend sagen: Die erfolgreiche Arbeit in den Spezialklassen
für Mathematik und Physik der Martin-Luther-Universität beruhte auf dem Zusammentreffen von
hochmotivierten und begabten Schülern mit leistungsfördernden universitären Möglichkeiten
und engagierten Lehrkräften.
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10. Literatur |  |
[1] Anweisung Nr. 9/1964 des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen zur Einrichtung von
Spezialklassen an Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten und Hochschulen.
In: Mitteilungen des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen 1/1964
[2] Engel, W. u.a.: The German Teams at the International Mathematical Olympiads 1959-1998, Bock-Verlag,
Bad Honnef, 1999
[3] Sonderlehrplan für Mathematik (nicht veröffentlicht)
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Anhang |  |
In Vorbereitung dieser Arbeit wurden ehemalige Schüler der Spezialklassen gebeten, ihre heutige Sicht auf die
Ausbildung in den Spezialklassen zu schildern. Die daraufhin entstandenen Beiträge sind im folgenden dargestellt.
Sie reflektieren die Zeit in den Spezialklassen aus der Sicht des Schülers.
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Michael Mann: |  |
Gerade in der heutigen Zeit, wo echte Begabtenförderung problembeladen ist, die Anforderungen an Schüler
und Studenten eher fahrlässig niedrig sind, erinnere ich mich mit Vergnügen an meine Zeit in den
Spezialklassen (1978-1980) zurück. Es war für mich die schönste und auch eindrücklichste Zeit in
meinem Leben. Das Zusammenleben im Internat schweißte uns als soziales Team zusammen. Ich empfand die
Spezialklassen weitestgehend als eine große Familie, in der auch Lehrer ihren festen Platz hatten. Das besondere
Umfeld, in dem man von übertriebenen gesellschaftlichen Aktivitäten befreit war, brachte Freiheiten und
Motivationen mit sich, die es erlaubten, sich auf die naturwissenschaftliche Ausbildung zu konzentrieren, und trotzdem
eine gute und breite Allgemeinbildung zu erhalten. Ein hoher Grad an Selbstständigkeit wurde gerade durch diese
Bedingungen erzielt, die Lebensfreude auf hohem Niveau entwickelt und ausgelebt. Sport und Kultur, Vergnügen und
Spiel gehörten ganz natürlich dazu, wohingegen Drogen und Kriminalität nicht einmal ansatzweise eine
Chance gehabt haben.
Das Prinzip "Förderung durch Forderung" war sehr fruchtbar. So wurde z.B. die schriftliche Abitur- bzw.
Reifeprüfung im Fach Mathematik, normalerweise ein Zitterfach für gewöhnliche Abiturienten, in der
halben Zeit, d.h. zwei statt vier Stunden, inklusive(!) sämtlicher Wahlaufgaben von allen
Spezialklassenschülern mit der Höchstnote abgelegt. Zudem machte es noch Spaß (ähnlich einer
Bergbesteigung, bei der man Stolz empfindet, wenn man den Gipfel erreicht hat).
So waren die Absolventen der Spezialklassen gut vorbereitet auf das Leben danach. Und sollte mal jemand mit einer
unbekannten Situation konfrontiert werden: Abstraktionsvermögen und Denken waren gut trainiert.
Kreuzlingen (CH), Frühjahr 1999
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Norbert Schultka: |  |
Ich heiße Norbert Schultka und besuchte die Spezialklassen für Mathematik und Physik der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vom September 1981 bis zur Erlangung des Abiturs im Juli 1983.
Da ich am Ende der 10. Klasse den Entschluß gefaßt hatte, Physik zu studieren, schien der Besuch
der Spezialklassen in den zwei verbleibenden Schuljahren die beste Vorbereitung auf das Universitätsstudium zu
sein. Die Entscheidung, die Spezialklassen zu besuchen, habe ich nie bereut. Einige Gründe hierfür
möchte ich kurz anführen.
Es gab nur zwei Klassen einer Klassenstufe, deren Schülerzahl auf ungefähr 24 Schüler
beschränkt war, wodurch generell eine hohe Unterrichtsintensität gewährleistet werden konnte. Der
Lehrstoff in Mathematik und Physik ging über das in den "normalen" Schulen gelehrte Maß hinaus,
in allen anderen Fächern gab es keinen Unterschied. Besonderer Wert wurde auf das Erlangen analytischer
Fähigkeiten im mathematisch-physikalischen Umfeld gelegt, d.h. auf das Erkennen von Problemstellungen und
möglicher Wege zu deren Lösung. In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß ein wichtiger
Aspekt, nämlich die Freude am Finden einer Problemlösung und am Erkenntnisgewinn generell, niemals zu kurz
kam. Im Rückblick sehe ich diese beiden Dinge als das für mich wertvollste Geschenk der Spezialklassen an
mich an.
Ein weiterer Vorteil der Spezialklassen bestand in der engen Bindung zur Universität. Interessierten
Schülern mit entsprechenden Leistungen war es schon während der Schulzeit möglich, reguläre
Vorlesungen und Kurse in Mathematik zu belegen und entsprechende Abschlüsse zu erlangen, die später im
Studium anerkannt wurden und somit zu einer Verkürzung der Studienzeit führen konnten. Außerdem
erleichterte das frühe Vertrautsein mit dem Universitätsalltag den späteren Eintritt in das Studium
beträchtlich. Es gab die Möglichkeit, sich selbständig in ein Fachgebiet unter fachlicher Anleitung
einzuarbeiten und an verschiedenen Zirkeln teilzunehmen, die meist von Universitätsangehörigen geleitet
wurden. In einem dieser Zirkel machte ich erste Bekanntschaft mit der Festkörperphysik und konnte erleben, wie
die Mathematik es ermöglichte, aus einer physikalischen Idee meßbare und damit überprüfbare
Ergebnisse abzuleiten.
Das Klima unter uns Schülern soll nicht unerwähnt bleiben. Trotz des natürlich vorhandenen
Konkurrenzkampfes habe ich niemals Gehässigkeiten oder unkollegiales Verhalten kennengelernt.
Damit möchte ich die kurze Schilderung meiner Erinnerungen an die Spezialklassen abschließen.
Rückblickend kann ich sagen, daß die Zeit an den Spezialklassen eine sehr lehr-und erkenntnisreiche und
damit auch sehr schöne Zeit für mich war. Wenn auch viel zu spät, möchte ich allen Lehrern für
ihre Mühe mit uns Schülern danken.
05.03.1999
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Michael Dreher: |  |
Ich besuchte die Spezialklassen von 1989 bis 1991, also in den letzten beiden Jahren ihres Bestehens. In den
Jahren zuvor hatte ich an einigen Mathematik-Olympiaden teilgenommen; und bei diesen Gelegenheiten hatten mir
ältere Schüler einige aufregende Dinge erzählt: Von einem (für DDR-Verhältnisse)
einzigartigen Klima der Aufgeschlossenheit wurde mir berichtet und natürlich von den Begebenheiten, die sich
typischerweise in einem Internat einer Oberschule (und nur dort) ereignen.
Als ich dann in die Spezialklassen aufgenommen wurde, fand ich eine kleine Schule mit wenig Klassen und einer
fast schon familiären Atmosphäre vor. In besonders tiefer Erinnerung verblieben mir
Lehrerpersönlichkeiten mit starken Charakteren, die in der Abgeschiedenheit der Spezialklassen ihre Ecken und
Kanten behielten.
Im Vergleich besaßen die Spezialklassen recht gute Voraussetzungen zum Lernen: es gab Zugang zur
Universitätsbibliothek, Sprachunterricht in kleinen Gruppen (teilweise von Muttersprachlern), eine solide und
grundlagenorientierte Ausbildung in Mathematik und Physik; und die Ausstattung in den naturwissenschaftlichen
Fächern war nicht übertrieben kostspielig, aber ideal geeignet, um zu verstehen, was Physik und Chemie
wirklich sind.
Zusammengefaßt läßt sich sagen: Ich hatte beeindruckende Erlebnisse, eine unvergeßliche
Zeit und ich hatte gelernt, wissenschaftlich zu arbeiten.
Japan, im Mai 1999
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Markus Spindler: |  |
"... und immer trägt man das heimliche Gefühl, daß das Beste noch komme,
wie es ja aller Jugend geht, bis sie sieht, das Beste liegt schon dahinten." (Hermann Hesse)
Augenblicke rauschen an uns vorbei als hätten sie Flügel, wir hangeln uns mehr schlecht als recht von Klausur zu Klausur, vom Doppelkopfabend zur Fete im Klosterkeller; die Wochen werden zu Monaten und diese zu zwei Jahren. Wir denken an Studium und Fahne. Und während uns all diese Zeit durch die weit gespreizten Finger rinnt, denkt wohl niemand daran, daß er sich dieser zwei Jahre sein Leben lang erinnern könnte. Als Ausgangspunkt für die gesamte spätere Entwicklung. Am Scheideweg angekommen.
Die Spezialklassen der Martin-Luther-Universität, wo ich im Februar 1985 klopfenden Herzens
meine Aufnahmeprüfung bestanden, gut vorbereitet durch den Bezirksklub junger Mathematiker, aber trotzdem
schlecht abgeschnitten wie praktisch alle anderen. "Sie sind bisher von der Volksverbildung mit guten Noten
beschenkt worden!" wie ein sicher noch vielen bekannter Lehrer recht drastisch formulierte. Es ist schwer, in
20 Zeilen zu pressen, was dieser Zeit gerecht werden könnte. Engagierte Lehrer, die wir verehrten bis
belächelten, Chaos im Ostrowski-Heim, dem wir in Haßliebe verbunden waren, Neues Theater und nullte
Stunde, die erste Liebe und Weinkrämpfe vor der Physikklausur. Vor allem aber immer wieder eine Schule neuen
Denkens, und wer hier durch gekommen war, der war auf das Leben vorbereitet worden, auf die Naturwissenschaften wie
auf vieles andere. Und wo ich in meinem kurzen Berufsleben bisher abgestiegen bin in Berlin, Istanbul und Duisburg:
ich habe immer Spezis getroffen. Die sind überall! Das scheint mir für die Gesellschaft Hoffnung zu machen.
Trotz allem sind wir ja nun eine aussterbende Spezis, wir Spezis. Doch wenn mich einer fragte, warum es sich gelohnt
haben könnte, in der DDR zu leben, könnte ich mir die pathetische Antwort durchaus vorstellen: Weil ich dort in einem ziemlich verfallenen Gemäuer am Reileck mein Abitur machen durfte. Das ist etwas, das bleibt.
Duisburg, den 15. März 1999
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Torsten Schütze und Torsten Obier: |
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Nachdem wir uns entschlossen hatten, unsere Sicht auf die Spezialklasse darzulegen, merkten wir schnell, dass
ein paar Zeilen viel zu knapp sind, auch nur annähernd unsere Eindrücke wiederzugeben.
Natürlich konnte man erwarten, dass die Ausbildung in den naturwissenschaftlichen Fächern auf einem
sehr hohen Niveau stattfand. Ebenso selbstverständlich war der Umstand, dass alle Schüler und alle Lehrer
gemeinsame Interessen in dieser Richtung verbanden, was die Arbeit und die Ergebnisse sicher beförderte.
Positiv überrascht waren wir vielmehr, dass sehr viel Wert auf eine umfassende Ausbildung in allen anderen
Fächern gelegt wurde. So lernten wir in den Mathematikstunden nicht nur Kurven zu diskutieren und den Satz von
Rolle zu beweisen, sondern auch das klassische Versmass und die korrekte Aussprache lateinischer Fachbegriffe.
Darüber hinaus wurde unser handwerkliches Geschick durch das Anfertigen von Modellen zur Vektorrechnung
gefordert. Unsere Klassenlehrerin sah ihren besonderen Ehrgeiz darin, uns für Theater und Literatur zu begeistern,
was zumindest bei einem von uns von Erfolg gekrönt war. Allerdings denkt wohl jeder von uns noch mit Grausen
an das erste Diktat zurück (Studieren, lateinisch studere, heißt sich bemühen . . .). Gerade wegen
der bekannten Vorzüge der Spezi-Ausbildung konnten wir nicht nachvollziehen, warum die Spezialklassen ihr
25jähriges Jubiläum nur kurz überdauerten. Schade, denn eigentlich waren wir uns ja ganz sicher, wo
unsere Kinder mal ihr Abitur machen werden. Unsere Verbundenheit mit der Spezialklasse kommt auch darin zum Ausdruck,
dass wir uns noch heute, mehr als zehn Jahre nach dem Abi, regelmäßig und in großer Zahl treffen und
eben einfach zusammenhalten. Dabei wird uns regelmäßig der tiefere Sinn des Spruches unseres
Schuldirektors bewußt, dass ein Mensch, der von Mathematik keine Ahnung hat, zu bedauern ist, jedoch ein
Mensch, welcher nur von Mathematik Ahnung hat, noch viel mehr.
Dresden, im Mai 1999
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Uli Walther: |  |
Meine zwei Jahre in den Spezialklassen (1984 - 1986) zählen zu den
schönsten Jahren meines Lebens. Sie sind auch jene Jahre, in denen mein mathematisches Denken aus dem
dörflichen Tiefschlaf gerissen wurde, in dem es schlummerte.
Dafür gibt es viele Gründe.
Der wichtigste ist vielleicht, dass wir zum ersten mal nicht "der Professor" in unseren Klassen waren, der von
allen gepiesackt wird, sondern unter Gleichgesinnten, denen explizites Bestimmen der Wurzeln einer Quartik (unser
erstes Hausaufgabenproblem) in der Tat Spaß macht.Natürlich war dies nicht der einzige Grund. Die relativ
enorme Belastung durch Mathematik- und Physikhausaufgaben wäre unter den meisten Lehrern nur mit Brummen in
Empfang genommen worden. Glücklicherweise waren wir aber mit den besten gesegnet, die ich mir vorstellen kann:
Dr. Schiemann und Kurt Stollberg. So unterschiedlich der Stil beider auch war, sie werden unvergessen bleiben, der
eine als "Zentrum der nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus geordneten Spezialklassen" (Originalton Doc
Schiemann) und der andere ziemlich genau das Gegenteil.
Neben fachlichen Dingen gab es auch eine Menge menschlicher und charakterlicher Dinge zu lernen, von diesen
beiden und anderen: Mama Gille, die sich bei Holger entschuldigte, weil sie ihn in der Russischstunde im Denken
über Mathematik unterbrach; Frau Wieners Erbostheit, weil die Rentenerhöhung zu spät kam; Stollis
philosophische Bemerkung über Gleichheit höherer Ordnung zwischen Gleichen und sein Rauswurf zwei Wochen
vor der Physikprüfung eines Ausreiseantrages halber; Schitti, der irgendwie immer die besten Karten beim
Doppelkopf hatte; die Schiemann'sche Bewertung meiner Hausaufgaben im Allgemeinen ("u") und im Besonderen
("uuuu" für "unheimlich unschön und ungut") und viele andere Dinge bleiben in Erinnerung.
Dann war da natürlich das vielgeliebte "O-Heim" mit Vorder- und Hinterhaus, und der grauen
Zwischenzone für Uwe Reif. Seine halb-elf Besuche, Blitzschach und angebrannte Götterspeise,
Wasserschlachten, eine Wandzeitungsdiskussion über die guten und schlechten Seiten von Musik am Nachmittag,
die Renovierung des Klosterkellers in den großen Ferien und Herrn Schulzes Beschwerden über demolierte
Toilettenspülungen sind nur wenige der amüsanten Erinnerungen, die sich für mich mit dem O-Heim
verbinden.
Spezi sein in Halle war für mich, so glaube ich, das Beste, was mir mit 16 Jahren passieren konnte; und ich
bin dankbar dafür, dass es geschah.
Mathematical Sciences Research Institute, Berkeley, California im Juni 1999
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