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Anselma Heine (1854-1930)
Anselma Heine
Anselma Heine wurde am 8.6.1854 geboren und verstarb am 4.11.1930. Sie ist eine der vier Töchter von E. Heine und war nach Victor Klemperer (Tagebücher 1934) zu ihrer Zeit eine berühmte Schriftstellerin.
  1. Wiederentdeckte Autorin
  2. Lebenserinnerungen
  3. Einige ihrer Bücher


Wiederentdeckte Autorin

Scharfer Blick auf das alte Halle

Anselma Heine schildert gesellschaftliches Leben vor hundert Jahren - Biographie bei Lesern begehrt

Wie verwünschen liegt die Villa Luisenstraße 1 hinter Efeuranken. Für so manchen Spaziergänger ist das vernachlässigte Haus noch immer ein Blickfang. Daß dort eine fast vergessene Schriftstellerin lebte, wissen jedoch nur wenige. Dank dieser Autorin Anselma Heine - die Tochter des Haus-Erbauers, die gegen Ende ihres Lebens auch Erinnerungen niederschrieb - kann man sich noch heute ein Bild vom ursprünglichen Anblick der Villa machen: "Wie ein großer weißer Schmetterling hob sich das Gebäude mit seinen zwei Säulenbalkons und den beiden nach hinten gebogenen Flügeln vom Grün des Gartens ab."

Der weiße Schmetterling im Juli 1999.

Anselma Heine schrieb diese Schilderung in ihrem 1926 erschienenen Buch "Mein Rundgang". Als eine der vier Töchter des Universitätsgelehrten Eduard Heine - eines Cousins von Heinrich Heine - erlebte sie das gesellschaftliche Leben als höhere Tochter. Viele Episoden, so über den Komponisten Robert Franz, überliefert sie in diesem Buch. "Wissen Se, das missen Se mehr schwäfeljelb spielen", soll er zu seinem Orchester gesagt haben - und die Musiker spielten die besagte Stelle schwefelgelb.

Aber auch ihre Verachtung über die Provinzialität des halleschen Gesellschaftslebens hielt Anselma Heine, die von 1854 bis 1930 lebte, nicht zurück. Sie wohnte bis zu ihrem 40. Lebensjahr in Halle und zog dann nach Berlin, wo sie lebhaften Anteil am blühenden Theater- und literarischen Leben nahm. Sie war mehr als siebzig Jahre alt und weit gereist, als sie ihre Erinnerungen niederschrieb.

Kein Wunder also, daß Halle in der Rückschau eher trist erscheint. "Der Aufschwung der Freiheitskriege war in Leben und Kunst erloschen", schrieb sie. Jede Empfindung für Niveau sei abhanden gekommen. "Das Theater war leer", die bildenden Künste "hatten in der Stadt keinerlei Unterkunft". Farbenfeindlichkeit herrschte in den Häusern: "Überall die gleichen Apollo- und Diana-Büsten aus abwaschbarer Elfenbeinmasse". Allein die Musik fand Gnade vor ihrem strengsten Urteil, nur sie sei wirklich lebendig geblieben.

Nach und nach hatten drei Heine-Töchter geheiratet. Nur Anselma, die schon früh einen Hang zur literarischen Betätigung spürte, blieb ledig. Sie hielt sich zurück, wenn es um "tiefere Herzensbindungen" ging. Schließlich seien diese "die stärksten Hindernisse für eine Frau, die sich zu geistiger Arbeit und Selbständigkeit" entwickeln wolle.

Selbst den kultiviertesten Männern habe damals jede Berufsfrau als alte Jungfer gegolten. Anselma Heine, die eigentlich Selma hieß, gab sich aus diesem Grund das männliche Pseudonym Anselm, das sie später mit Anselma wieder verweiblichte. In ihren Romanen äußerte sie die Vermutung, daß die Männer Angst davor hätten, das Rätsel Frau zu verlieren. Die berufstätige Frau als "Gleiche" und "Konkurrentin" werde meßbar. Insgesamt veröffentlichte die Hallenserin 13 Bücher.

Der "weiße Schmetterling" in der Luisenstraße ist inzwischen grau geworden. Bewohnt wird das Haus zur Zeit unter anderen von Künstlern, denen Anselma Heine keine Unbekannte ist. Auch andere Hallenser haben die Autorin wiederentdeckt: Ein Exemplar ihres Buches "Mein Rundgang" steht in der Universitätsbibliothek - und ist fast immer vergriffen.

Autorin: Simone Voigländer
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 19. Febr. 1999

Lebenserinnerungen

Aus Anselma Heine: Mein Rundgang. Erinnerungen. Berlin und Leipzig 1926.

Seite 9: Manchmal stand auch meineMutter mit mir am Fenster und blickte hinab. Sie pflegte dann ein wenig ganz leise zu seufzen. -
Meine Eltern waren aus Bonn hergekommen. Dort (wie hier in Halle) war mein Vater Professor der Mathematik an der Universität. Wahrscheinlich ist er mit dem Tausch recht zufrieden gewesen und hat wohl in den halleschen Studenten aufmerksamere und fleißigere Zuhörer gefunden als an der rheinischen Universität, die von den Studenten meist ihrer schönen Lage und ihrer vornehmen Korpstraditionen wegen gewählt wurde. Meiner lebhaften jungen Mutter aber mag der Wechsel schwer geworden sein.
Seite 10: Sie [die Mutter] selbst war, wie auch mein Vater, in Berlin geboren. Freilich hatte sie fast nur ihre Kindheit dort verbracht. Noch dazu in einem streng gehüteten Familienkreise, unter wenigen erlesenen Freunden des Hauses, die alle wohl zur Idealistenrasse gehörten; und mehr im alten Griechenland oder in Indien Bescheid wußten als in Berlin. Ihr selber war die erste größere Gesellschaft, die sie mit Verwandten besuchte, sogleich zum Verlobungstag geworden.
Es war im Mendelssohnschen Hause. Die Birch=Pfeiffer las vor. Mein Vater, Bruder der Hausfrau, war in den Osterferien zu Besuch gekommen, und der fast dreißigjährige Gelehrte verliebte sich in das junge, schöne und kluge Mädchen.
Niemals haben die beiden sich entsinnen können, was in dem Drama stand, das die Birch=Pfeiffer an jenem Abend vorlas.
Am nächsten Tage zwischen elf und zwölf Uhr hielt der junge Professor ordnungsmäßig bei den Eltern um die Siebzehnjährige an. Und wurde angenommen. In den Herbstferien heirateten sie.
Seite 22: Sonntags beschäftigte sich auch - sonst uns wenig sichtbar - unser Vater gern mit seinen Kindern. Wir stürzten dann nach dem Mittagessen in seine büchergefüllte Studierstube, deren warme, von altem Mahagoni durchfärbte Ruhe bis zuletzt immer ein Gefühl von Erhobenheit in mir weckte. Das Jüngste lief mit deutlich betonter Heimlichkeit voraus und versteckte sich hinter dem Papierkorbe, um sich von dem, gefällig immer wieder eifrig suchenden Vater, gebührend überrascht, dort auffinden zu lassen. Dann aber kam der wundervoll mysteriöse Augenblick, da Vater unter den Aufsatz seines Zylinderbureaus griff und mit leisem Knips das kleine Geheimfach sich öffnete, das kunstvoll dem Gefüge der Täfelung eingepasst war. Wir Mädchen bekamen jede unser Pfennig-Schokoladentäfelchen, mein Bruder eine Bonbonzigarre, mit rotem Staniolstreifen. Und wir alle verbargen es männlich, dass die Dinger uns abscheulich schmeckten. Nicht einmal gegenseitig gestanden wir uns das!
Seite 23: Ein Beispiel dafür, wie ... die Alt-halleschen Professoren in ihren Erholungs- und Erfreuungsstunden verfuhren, ist der tägliche Nachmittagskaffeegang nach Wittekind. Um ein Uhr wurde überall Mittag gegessen. Danach begann die Gruppenbildung. Genau war der Zeitunterschied berechnet zwischen der Wohnung des einen und des anderen. Fünf, sechs etwa der nachbarlich Wohnenden holten einander ab, stießen dann in einem anderen Viertel auf die ebenda ebenso gebildete Gruppe und zogen vereint die äußerst eintönige Chaussee nach dem etwa eine halbe Stunde vom Kirchtor entfernten kleine Solbad Wittekind. Weder Sonnenbrand noch Kälte hinderten die Pünktlichen. Die Leute in den Häusern stellten ihre Uhren nach ihnen, wie man sich nach den Gestirnen richtet. Der Vorbeigang freilich dieser Himmelslichter hatte nichts Strahlendes. Das einzig Glänzende vielleicht waren die sehr alten Jahrgänge der Zylinder, die man damals zu jeder Tageszeit und zu jedem Anzug aufsetzte. Mode und Wechsel waren ihnen ferne Begriffe ohne Beziehung zum eigenen Leben. Der jüngere Jahrgang trug den oft üppig wuchernden Vollbart oder ausrasiertes Kinn und Seitenkoteletten. Die älteren Herren waren durchaus rasiert. Allen gemeinsam war das langwallende, oft sich lockende Kopfhaar. Alter und Schicksal ihrer Röcke zu bestimmen, hätte eines historischen Quellenforschers bedurft.
Seite 48: Meine Schwester war erst siebzehn, als Sie Braut wurde. Die beiden Menschen hatten sich gefunden und gegen alle "Abers" und "Eigentlichs" behauptet. Mein Vater gewöhnte sich anfangs nur zögernd an diesen Sohn, der, jeder philosophischen Grübelei fremd, den ausgesprochenen Gegensatz bildete zu ihm, der stundenlang dasitzen, in eine Ecke starren und aus der Neigung eines Winkels mathematische Probleme herauslesen konnte.

Einige ihrer Bücher:

  • Drei Novellen. Gebr. Partel Berlin 1896
  • Unterwegs. Novellen. Gebr. Partel Berlin 1897
  • Auf der Schwelle. Novellen. Gebr. Partel Berlin 1900
  • Bis ins dritte und vierte Glied. Roman. Engelhorn Stuttgart 1901
  • Mutter. Roman. Westermann Braunschweig 1905
  • Vom Markte der Liebe. Novellen. Gebr. Partel Berlin 1907
  • Eine Peri. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1909
    Hamburger Nachrichten: Die goße Schilderungskunst Anselma Heines hat das Schicksal dieser Frau mit starken Farben gemalt; das Buch sei allen Liebhabern einer ernsten reifen Lektüre empfohlen.
  • Die Erscheinung. Novelle. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1912
    Deutsche Tageszeitung: Eine spannende Erzählung, die, einer Vision gleich, am Leser vorüberhuscht und bis ins Innerste packt und erschüttert.
    Tägliche Rundschau: Es ist ein seltener Genuß, zu verfolgen, wie Anselma Heine diese Begebenheit einleitet, ausgestaltet und mit einer Fülle von steigenden, stimmungsgebenden Motiven bereichert. Ein Kleinod moderner Novellistik ist entstanden.
  • Fern von Paris. Zwei Novellen. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1914
  • Die verborgene Schrift. Elsaß-Roman. Ullstein Berlin 1918
  • Gürtelkämpfer. Roman. Ullstein Berlin 1922
  • Finnische Novellen. Mosaikverlag Berlin 1923
  • Mein Rundgang. Erinnerungen. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1926
  • Der Zwergenring. Roman aus Goethes Jugendland. Volksverband der Bücherfreunde Berlin ????

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optstoch@ 15. April 2001, © goma